Ludwig ist krank

Ludwig ist krank

Ludwig kam von der Schule nach Hause. Als er die Haustür aufschließen wollte, krümmte er sich plötzlich vor Schmerzen.

Schon in der Schule hatte er ein komisches Gefühl im Bauch. Beim Einsteigen in den Schulbus bekam er das erste Mal einen schmerzhaften Krampf und sein Schulbrot bahnte sich den Weg nach oben. Der Busfahrer machte sich noch lustig über ihn, weil er so langsam die Stufen in den Fahrgastraum erklomm und dabei den ganzen Betrieb aufhielt.

»Na, du Lahmarsch! Beweg dich mal ein bisschen! Muskelkater vom Schulsport, was?«

Ludwig hasste ihn. In seinen Gedanken war dieser unsensible Busfahrer bereits tot. Seine Freunde waren etwas einfühlsamer. Simon, der im Bus neben ihm saß, fragte: »Was hast du denn? Ist dir schlecht?«

Ludwig konnte nur nicken und sich dabei den Bauch halten. Simon schaute mitfühlend. »Vielleicht hast du ja eine Blinddarmentzündung. Meine kleine Schwester hatte letztes Jahr auch eine. Fast wäre sie daran gestorben.«

»So ein Quatsch!« Frank, der in der Reihe vor ihnen saß, hatte alles gehört.

»Lass dich nur nicht verrückt machen! Laura hatte keine Blinddarmentzündung, sondern sich nur an den leckeren Pfannkuchen ihrer Oma total überfressen. Simons Eltern waren allerdings mit ihr im Krankenhaus, weil sie dachten, sie müsse sterben. Abends war sie wieder zu Hause. Simon ist ein Lügenbold! Aber sag‹ mal, ist es wirklich so schlimm?«

Ludwig nickte bloß.

Den kurzen Weg von der Bushaltestelle bis zur Wohnung schaffte er mit kurzen Schritten und zusammengebissenen Zähnen. Glücklicherweise begegnete er auf dem Nachhauseweg niemandem, sonst hätte er »Guten Tag« sagen müssen und er war sich sicher, dass ein offener Mund noch etwas anderes herausgebracht hätte.

Den Haustürschlüssel im Schloss zu drehen, dazu fehlte ihm die Kraft. Mit großer Anstrengung hob er den Arm und drückte die Klingel.

Seine Mutter öffnete nach einer kleinen Ewigkeit.

»Ludwig, du hast doch einen Schlüssel! Warum klingelst du denn? Du weißt doch ganz genau, dass ich zu dieser Zeit immer meinen Schönheitsschlaf mache!«

Fast ging es Ludwig schon besser, als er das hörte. Der Schönheitsschlaf seiner Mutter war nämlich sehr lustig anzuschauen, wenn man sie dabei erwischte. Allein die Gurkenscheiben auf ihren Augen! Manchmal fragte er sich schon, ob sie wirklich seine Mutter war oder ein übersäuerter Gurkensalat.

»Mir ist schlecht und ich muss gleich kotzen.«

»Komm erst mal rein. Die Haustür muss ja nicht stundenlang offen stehen.«

Es war ihr peinlich, mittags im Schlafanzug und mit pinkfarbener Schmiere im Gesicht von den Nachbarn gesehen zu werden. Völlig fertig stand Ludwig in der Küche und stütze sich auf eine Stuhllehne. Seine Mutter lag schon wieder auf dem Sofa und drapierte sich die Gurkenscheiben auf die Augen.

»Leg dich ins Bett, esse ein paar Scheiben Zwieback und trinke ein Glas Wasser!«

Ludwig wankte an die Spüle und trank ein Glas Wasser. Für zwei Schlucke brauchte er eine kleine Ewigkeit, so scheußlich weh tat es jedesmal, wenn das Wasser in seinen Bauch rann. Den Zwieback ließ er im Schrank.

Mit letzter Anstrengung schaffte er es, die Treppe hoch in sein Zimmer zu gehen und ließ sich aufs Bett fallen. Dem Ratschlag seiner Mutter folgend, schlief er sofort ein.

Sein Schlaf dauerte nicht lange. Nach einer halben Stunde wachte er bereits auf und verspürte beim Aufrichten einen stechenden Schmerz in der Stirn. Sein Bauchweh war auch nicht besser geworden. Sicherheitshalber ging Ludwig ins Badezimmer und hielt den Kopf über die Kloschüssel.

Außer einem leichten Würgen passierte zum Glück nichts.

Ludwig ging nach unten zu seiner Mutter. Die hatte mittlerweile ebenfalls ihr Nickerchen beendet, die Gurkenscheiben und die Gesichtspaste entfernt und sah – zumindest bis zum nächsten Tag – wieder aus wie eine sechszehnjährige Teenagerin.

»Mama, ich habe jetzt auch noch Kopfschmerzen!«

»Ach du liebe Güte! Du hast auch immer etwas anderes! Komm her, mein Lieber. Hier hast du eine Schmerztablette!«

Doch was Müttern hilft, ist für Kinder nicht gleich gut. Ludwig ging es nach der Giftinjektion nicht besser. Seufzend ergab seine Mutter sich in ihr Schicksal und fuhr mit Ludwig zu Dr. Engelbrecht. Der hatte gleich eine Diagnose parat, ohne Ludwig näher zu untersuchen.

»Ihr Sohn hat wahrscheinlich eine Grippe. Er kann sich zuhause mal vor das Fernsehgerät setzen. Das lenkt ab!«

Ludwig starrte dem Doktor ungläubig an. Das konnte doch nicht wahr sein? Doch Dr. Engelbrecht reagierte überhaupt nicht. Er saß vornübergebeugt an seinem Schreibtisch und rechnete seinen Gewinn aus.

Zu Hause angekommen, wurde sofort das Fernsehgerät eingeschaltet. Im Ersten Programm kam eine Sendung über Hausgeburten. Das Blut lief in Strömen. Ludwig rief: »Mama, ich muß kotzen!«

Seine Mutter stellte gleich einen Eimer neben das Sofa. Ludwig würgte fleißig, doch viel kam nicht heraus.

»Soll ich dir ein anderes Programm einschalten?«

Ludwig nickte mühsam. Er fühlte den Tod nahen. DieMutter drückte auf der Fernbedienung herum und schaltete durch die Programme. Auf dem Kinderkanal kam gerade »Lassie«.

»Willst du Lassie sehen?«

»Ja, lass mal an!«

Mutter verschwand wieder in der Küche. Ludwig schnappte die Fernbedienung und schaltete weiter. In einem Dritten Programm lief »Parlez-vouz francais?« Ludwig verstand überhaupt nichts. Französisch würde er erst im siebten Schuljahr lernen. Aber er bekam plötzlich eine gute Idee. So schnell wie er konnte, also im absoluten Schneckentempo, ging er die Treppe hinauf zu seinem Zimmer und öffnete seine Schultasche. Wo war bloß das Englischheft? Es war nirgends zu finden. Da fiel ihm ein, dass er es im Klassenzimmer auf seinem Tisch liegengelassen hatte. Das sollte ihn morgen früh in der Schule gleich daran erinnern, dass er die Hausaufgaben für die dritte Stunde noch in der großen Pause von Stefan abschreiben wollte. Was jetzt? Zum Glück hatte er noch sein Englischwörterbuch im Regal. Er nahm das Buch und legte sich damit ins Bett. Er fing bei »A« an.

Als er nach zwei Stunden meinte, genug gelernt zu haben, holte er seine Mathematikhausaufgaben. Damit war er schon nach zehn Minuten fertig. Anschließend setzte er sich an seinen Schreibtisch und malte mit Wasserfarben ein schönes Bild von seiner Mutter. Leider misslang es ihm. Zuerst wollte er es in den Papierkorb werfen, doch dann bekam er einen Einfall. Er hängte es kopfstehend und umgekehrt an seine Zimmertür.

Ludwig mochte es, seiner Umwelt Rätsel aufzugeben. Irgendwann würde seine Mutter merken, dass ein leeres, weißes Blatt an der Tür hing und die Angelegenheit näher untersuchen.

Ludwig wurde müde und legte sich ins Bett. Als er am nächsten Morgen aufwachte, waren alle Schmerzen verschwunden.

Das Original

Als Ludwig nach Hause kommt, hat er Bauchschmerzen. Seine Mutter sagt: »Leg dich ins Bett, esse ein paar Scheiben Zwieback und trinke ein Glas Wasser.«

Ludwig tut was seine Mutter sagt. Aber nachdem er 30 Minuten geschlafen hat, merkt er, dass sein Kopf wehtut!

Er geht zu seiner Mutter, die ihm sofort eine Kopfschmerztablette gibt. Doch auch nach diesem Versuch geht es Ludwig nicht besser. Seine Mutter hält es nicht mehr aus und fährt mit ihrem Sohn zum Arzt. Der meint: »Ihr Sohn hat wahrscheinlich eine Grippe. Er kann sich zu Hause mal vor das Fernsehgerät setzen. Das lenkt ab!« Ludwig macht, was der Arzt gesagt hat. Danach geht es ihm ein wenig besser.

Aber am nächsten Morgen hat er wieder Bauchschmerzen. Seine Mutter sagt: »Du gehst auf keinen Fall in die Schule! Hörst du! Eine Grippe ist ansteckend.« Ludwig nickt und schaltet den Fernseher an. Aber das wird ihm langsam zu langweilig.

Er nimmt sein Mathebuch aus dem Schulranzen und rechnet Seite für Seite. Als er ein Drittel des Mathebuches durch hat, lernt er seine Englischvokabeln. Es macht ihm richtig Spaß so zu lernen. Als er mit den Vokabeln fertig ist malt er ein schönes Bild. Dann spielt er ein paar Lieder auf seiner Blockflöte, lernt die lateinischen Begriffe für Kirchen und für die Bioarbeit. Er ist so in das Lernen vertieft, dass er gar nicht merkt, wie die Bauch- und Kopfschmerzen weggehen. Erst als er das gesamte Deutschbuch durchgelesen hat, merkt er dass seine Schmerzen wie weggeblasen sind.

Er läuft zu seiner Mutter und ruft: »Mama, ich kann morgen wieder in die Schule! Die Bauchschmerzen sind weg!« Ludwigs Mutter ist froh dass es ihrem Sohn wieder gutgeht. Und am nächsten Tag geht Ludwig wieder in die Schule!

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